„Eine unvergessliche Reise“
Begegnungsreise der Ev. Jugend von Westfalen nach Israel und Palästina im April 2023
Insgesamt 32 junge Menschen aus 14 Kirchenkreisen der Ev. Kirche von Westfalen besuchten vom 10. – 20. April 2023 Israel und die palästinensischen Gebiete. Die Begegnungsreise für Teilnehmende bis 27 Jahren wurde vom Amt für Jugendarbeit der EKvW organisiert und führte an Orte und in Begegnungen, die sicher für immer in Erinnerung behalten werden. Neben Landesjugendpfarrer Christian Uhlstein, der im Jahr 2019 ein Studiensemester in Jerusalem verbrachte, sorgte Jugendkammermitglied Steven Edwards mit Kontakten aus seinem Studienjahr in Israel für interessante Begegnungen mit jungen Menschen aus verschiedenen Lebenskontexten.
Es ist Freitagabend.
Shabbatbeginn in Jerusalem. Nach dem Besuch von verschiedenen Synagogengottesdiensten in Kleingruppen versammeln sich die 34 Teilnehmenden der Begegnungsreise der Ev. Jugend von Westfalen im Essensaal ihrer Unterkunft, dem Post Hostel. Rabbi Oded Peles steht vor ihnen an einem Tisch. Vor ihm Traubensaft. Er spricht den Segen über dem Brot und
schneidet es in Stücke. Anschließend spricht er den Segen über dem Kelch. „Wir feiern Abendmahl“ flüstert eine Teilnehmerin. Sie hat nicht ganz unrecht und doch ist es etwas anderes, was die jungen Menschen, die sich auf den Weg ins Heilige Land gemacht haben, hier erleben. Es ist der Ursprung des Abendmahls, das auf das Pessachmahl und den Brauch des Kiddush, dem Weinsegnen an jedem Shabbatabend, zurückgeht. Die Ehrenamtlichen aus der Jugendarbeit der westfälischen Kirche befinden sich an diesem Abend sehr nah auf den
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Das war eine prägende Erfahrung, das Judentum so einladend und freundlich kennenlernen zu dürfen. Es ist eine großartige Erfahrung, die jüdische Kultur und Tradition so nah und ohne Filter zu erleben.
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Zitat einer Teilnehmerin
Spuren Jesu und der jüdischen Tradition.
Rabbi Peles hatte bereits am Nachmittag eine Einführung in die jüdische Kultur gegeben. In den Synagogengottesdiensten wurde dann gesungen, gebetet und gefeiert. Beim fröhlichen Shabatbeginn wird mit Liebesliedern der Feiertag, der von Freitagabend bis Samstagabend dauert, begrüßt. Dann steht alles still. In den nächsten 24 Stunden fahren keine öffentlichen Busse, die Geschäfte haben geschlossen. Menschen versammeln sich stattdessen in und mit ihren Familien. Manche bezeichnen dieses Erleben als intensivsten Moment der Begegnungsreise.
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Neben dem intensiven spirituellen Erleben war es die politische Thematik des Israel-Palästina-Konflikts, die einen weiteren Schwerpunkt der Reise bildete. Diesem wurde unter anderen im palästinensischen Beit Jala bei Bethlehem nachgegangen. Neben der obligatorischen Stadtführung durch die historische Altstadt und dem Besuch der Geburtskirche – inklusive gemeinsamen Singens von „O du fröhliche“ in der unter dem Altar liegenden Geburtshöhle - standen die Begegnungen mit jungen palästinensischen Christ*innen aus der Geburtsstadt Jesu auf dem Programm. Diese berichteten von ihrer Lebensrealität im besetzten Gebiet, von den Hoffnungen für ihre Zukunft oder auch von ihrem Alltagsleben: „Was ist das Beste an Palästina?“ - „Das gute Essen! Der Zusammenhalt! Die Familie!“ / „Was fehlt? „Die Bewegungsfreiheit. Die Zukunftsaussichten. Eine gute Absicherung“.
Das waren Begegnungen, die nachdenklich machten und zeigten, welches Privileg Besitzer*innen eines deutschen Passes haben, mit welchem freies Reisen auf der ganzen Welt möglich ist, während andere Menschen ihr Lebensumfeld nicht oder nur sehr eingeschränkt verlassen können.
Gutes Essen gab es dann zum Beispiel bei der Begegnung mit der Buchautorin Fatan Mukarker und ihrem Sohn Kamal, der die Reisegruppe als Guide während der Zeit in den palästinensischen Gebieten begleitete. Faten Murkarker, die auch einige Zeit mit ihrem Mann in Bonn gelebt hatte, berichtete in ihrem (zum Glück sehr großen) Wohnzimmer über die arabische Kultur der Großfamilie und über ihr "Leben zwischen Grenzen" (so der Buchtitel eines ihrer Bücher). Ein Besuch der Mauer zwischen Palästina und Israel verdeutlichte eindrücklich den israelisch-palästinensischen Konflikt und seine Vielschichtigkeit. Anschaulich wurde erlebt, wie die bis zu 12 Meter hohe Mauer Stadtteile, landwirtschaftliche Flächen und Familien voneinander trennt, das tägliche Leben der Menschen in der Region beeinflusst und wie wichtig, aber auch wie schwierig es ist, eine friedliche Lösung für das Zusammenleben in der Region zu finden.
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In Jerusalem erkundete die Gruppe die historische Altstadt und besuchte unter anderem die Grabeskirche, den Ölberg und die Klagemauer. Diese Orte sind und waren durch ihre Geschichte sehr beeindruckend. In Bezug auf das gegenwärtige Leben in Jerusalem bewegten Begegnungen mit Mitarbeitenden des Zusammenschlusses Jerusalem Open House for Pride and Tolerance, einer israelischen LGBTQ-Organisation die sich in der eher traditionellen Jerusalemer Lebensumwelt für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Menschen einsetzt. In der Begegnung mit Studierenden der Hebräischen Universität und dem Rossing Center for Education und Dialogue wurde erörtert, wie interreligiöses Zusammenleben in einer interkulturellen Welt gelingen kann.
Ein besonderer Moment der Reise war der Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem, welche an die Opfer des Holocaust, aber auch an die Gerechten unter den Völkern, die Leben bewahrt haben, erinnert. Wie eine moderne Gedenkstättenkultur, die mehr als Betroffenheit vermittelt, aussehen kann, zeigte der Theologe und Gründer einer Reiseagentur, Georg Rössler, der seit 30 Jahren in Jerusalem lebt. Mit ihm eröffnete sich auch ein Gespräch darüber, dass eine Theologie nach Ausschwitz nur gelingen kann, wenn sie das verengte Bild eines allwirkenden Gottes hin zum mitleidenden Gott öffnet. Letztendlich ist jeder Mensch gefordert, seinen individuellen theologischen Glaubenszugang zu finden.
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Nach der spannenden Zeit in Jerusalem ging es weiter, zur Festung Massada, die auf einem Berggipfel liegt und einen weiten Blick über das Tote Meer bietet. Im Oasental En Gedi war es auf den Spuren Davids, der sich hier auf der Flucht versteckt haben soll, beeindruckend zu sehen, wie die Natur inmitten der karge judäischen Wüste Wasserläufe, grüne Pflanzen, Schmetterlinge, Vögel und weitere Tiere zu beheimaten scheint. Nach diesen sehr kulturellen und geschichtlichen Orten durfte ein Bad an der tiefsten Stelle der Erde im salzreichen Toten Meer natürlich nicht fehlen.
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Am See Genezareth nahm die Gruppe im Kibbuz Shaar HaGolan an der Gedenkfeier zum Holocaustgedenktag teil, die mit dem Entzünden von Gedenkfackeln, einem Chor und Ausdruckstanz gestaltet wurde. Nuri, die seit 60 Jahren im Kibbuz lebt, berichtet zurückschauend auf ihr arbeitsames, aber auch glückliches Leben an der Grenze zu den Golanhöhen.
Auf den Spuren Jesu ging es vom Berg Arbel hinunter ins Taubental, das Jesus bereits durchquert haben soll. In Tabgha am Nordufer des Sees wurde nach dem Besuch der inklusiven Einrichtung Beit Noah eine Andacht in einer kleinen Open-Air Kapelle direkt am See Genezareth gefeiert, die viele sehr bewegt und mit einem Gefühl der Verbundenheit erfüllt hat. Schweigend und betend konnten sich die Teilnehmende vorstellen, wie Jesus dort vor 2000 Jahren mit seinen Jünger*innen am Lagerfeuer zusammensaß und Brot und Fische aß.
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Den Abschluss der Reise führte zur Hafenstadt Akko am Mittelmeer, eine vielschichtige und spannende Stadt, die sehr von den Kreuzfahrern geprägt wurde. Besonders die unterirdischen Anlagen und der Tunnel vom Hafen bis ins Stadtzentrum waren spannend zu entdecken. Nahe Akko lernte die Gruppe im interreligiösen Dorf Nes Ammin ein Konzept kennen, dass mit dem Ansatz des Zusammenlebens zur Verständigung beitragen und so seit den 60er Jahren ein Zeichen für die Völker, so die Übersetzung des Dorfnamens, sein möchte.
Die Begegnungsreise war für viele ein unvergessliches Erlebnis. Neben den vielen beeindruckenden Orten, die besucht wurden, waren es vor allem die Begegnungen mit den Menschen vor Ort, die nachhaltig in Erinnerung bleiben werden. Gespräche mit jungen Palästinenser*innen und jüdischen sowie arabischen Israelis haben Perspektiven eröffnet. Besonders beeindruckend wurde erlebt, wie sich die Gesprächspartner*innen trotz der schwierigen politischen Situation für Frieden und Versöhnung einsetzen und gemeinsam für eine bessere Zukunft arbeiten.
Dabei wurde immer mehr deutlich, dass es im Zusammenleben keine klaren Fronten gibt, sondern die israelisch – arabische Welt vielschichtiger ist, als es auf den ersten Blick erscheint. So hinterfragten gleichermaßen palästinensische Gesprächspartner palästinensische Verhaltensweisen und Ansichten, sowie jüdische Gesprächspartner, auch vor dem Hintergrund der Demonstrationen zur Justizreform in Israel, die eigene Regierung. Dies und anderes führte innerhalb der Gruppe zu wertvollen Diskussionen. Auch wurde sich über unterschiedliche Glaubensvorstellungen ausgetauscht und dabei bemerkbar, dass es trotz aller Unterschiede auch viele Gemeinsamkeiten innerhalb der abrahamitischen Religionen gibt. Es war inspirierend zu sehen, wie die gemeinsame Erfahrung einer solchen Reise Menschen verbindet und bereichern kann.
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Kiara-Sophie (Kiki), die Chronistin der Reise, fasste am Ende ihrer Tagebucheintragung zusammen, was viele Teilnehmer*innen auch in der Abschlussrunde ansprachen:
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Insgesamt war die Begegnungsreise nach Israel für uns alle eine intensive Zeit der Reflexion und des Lernens.
Wir haben viel über uns selbst und unsere Vorurteile gelernt und gleichzeitig viele neue Perspektiven und Anregungen für unser eigenes Leben und Engagement mitgenommen.
Wir sind dankbar für diese Erfahrung und hoffen, dass auch zukünftige Gruppen die Möglichkeit haben werden, eine solche Reise zu unternehmen. Denn nur durch Begegnung und Austausch können wir Vorurteile und Konflikte überwinden und gemeinsam für eine bessere Zukunft arbeiten.
“
Christian Uhlstein
Landesjugendpfarrer
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Vielleicht bis...
L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim
nächstes Jahr in Jerusalem...
Text und Bilder
Beigetragen zu diesem Reisebericht haben
Kiara-Sophie Grutas (Kiki)
Maximilian Plöger (Maxi)
Christian Uhlstein